Den kannte ich noch nicht

Da denkt man, man kennt langsam alle haarsträubenden Praktiken der tierverarbeitenden Industrie, und schon wird man eines besseren belehrt.

Die Überschrift „Wer denkt an die Kälbchen?“ heute in der Süddeutschen ließ mich erst an die milchverarbeitende Industrie denken, aber nein: in der Fleischverarbeitung werden die Rinder so dicht an dicht in die Verwurstung geschoben, dass es nicht auffällt ob trächtige Kühe dazwischen sind. Und so werden zwei Generationen erlöst.

Traurig, aber eigentlich naheliegend. Die meisten Leser werden es trotz Seite Eins bald verdrängt haben, doch vielleicht ist es für manche der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Schwanger und Vegan

Wie ich hier gerade sitze und meine Pfisterbreze abwechselnd in Chocoreale Duo und Zwergenwiese Brotzeit-Streich tunke, sinniere ich darüber, was jetzt anders ist im Vergleich zum letzten Mal. Damals habe ich noch alles gegessen (mit Vegetarismus habe ich mich nie aufgehalten, wer die Milch trinkt, darf/soll/muss auch das Kalbsschnitzel essen).

  • Symptome: Bisher verlief es beide Male gleich. Keine Übelkeit, aber extreme Müdigkeit am Anfang
  • Gelüste: kaum. Damals Milka Vollmilch, jetzt Rapunzel Reismilch.
  • Abneigungen: damals wie heute Tabasco-Sauce. Dieses Mal konnte ich anfangs auch keine Kichererbsen ertragen. Die standen damals noch nicht so prominent auf dem Speiseplan, daher kein Vergleich möglich
  • Mein Gewicht: steigt ziemlich parallel zum ersten Mal
  • Nachwuchs: beide Male extrem aktiv. Das große Geschwister war (einst in der „Produktionsphase“ bis zu Geburt) jedoch sehr, sehr, sehr zierlich: Das kleine ist jetzt über der Norm. Alle Werte gleichmäßig voraus.
  • Zuckertest: beim ersten Mal leicht erhöhte Werte, jedoch nicht behandlungsbedürftig, jetzt unauffällig

Und jetzt das Wichtigste, Drumroll, please: die Nährstoffversorgung meinerseits in dieser Schwangerschaft!

  • Auf B12-Supplementierung habe ich penibel geachtet, der Wert ist bestens.
  • Auch eisenhaltiges Essen war vermehrt auf dem Speiseplan. Dennoch ist der Wert im letzten Drittel leicht unterhalb der Toleranzgrenze. Daher nehme ich einen Zusatz. Beim ersten Kind waren die Hb-Werte immer schlechter im Vergleich, da musste ich schon früher etwas nehmen.
  • Das Thema Vitamin D habe ich nicht wirklich auf dem Schirm gehabt. Der Wert ist sehr niedrig, 1/5 unter der Norm. Symptome habe ich keine bemerkt, aber jetzt wird mit Vitashine aufgefüllt.

Generell ist also nicht viel anders. Das neue Kind ist besser versorgt, wieso auch immer, und das ist schön, nein, das ist das Wichtigste.

Ringen um Olympia

Bezüglich der Winterspiele 2022, für die München veranstalten will, schlagen zwei Seelen, ach, in meiner Brust. Heute ist nun die Abstimmung, ob die Bewerbung eingereicht wird. Heute früh sinnierte ich vor mich hin und dachte an die beiden Seiten der Medaille (aus meiner Sicht).

Erstens: die Gewohnheit, das Herz. Die schönen Erinnerungen an gemeinsame, gemütliche Stunden vorm Fernseher, in denen man mitgefiebert hat mit den Athleten. Ach was: „hat“. Daran wird sich in Zukunft auch nichts ändern. Als ich klein war, war ich traurig, dass ich 1972 noch nicht auf der Welt war. Olympia in meiner Stadt! Und ich konnte nicht dabei sein. Natürlich herrscht auf dieser Sportveranstaltung heute, wie überall sonst auch, König Kommerz, aber es ist trotzdem etwas Besonderes. Die Chance ist wieder da: Olympia in der eigenen Stadt

Zweitens: der Umweltaspekt. Olympia ist eine ungeheure Materialschlacht, mehr muss man dazu nicht sagen.

So war es für mich eigentlich klar, dass in meinem Gewissensolympia die Vernunft siegt, doch dann blitzte folgender Gedanke auf: es ist keine Entscheidung für oder gegen Olympia per se. Eigentlich klar, aber irgendwie ist mir das erst in letzter Sekunde klar geworden. Olympia ist eine ungeheure Materialschlacht, wie erwähnt, und wenn in neun Jahren noch keine Weltkriege um die Nahrung und Ressourcen geführt werden, werden diese Winterspiele stattfinden.

Von dem ökologischen Standpunkt aus muss die Entscheidung also von noch einer anderen Seite betrachtet werden: an welchem Austragungsort richten die Spiele den geringsten Schaden für die Umwelt vor Ort und das Klima weltweit an? Geht man danach, ist eine simple Entscheidung gegen München (als Eingeborener) nur ein Anrufen des heiligen St. Florian („Verschon mein Haus“, usw.). Vor dem „Hintergrund“ Sotschi und Pyeongchang ist das vielleicht keine so gute Idee.

Schnell die Zeitung durchgeblättert, die Mitbewerber sind also: Almaty, Kasachstan; Lemberg, Ukraine; Peking, China; Oslo, Norwegen. Ein Lichtblick, letzteres. Und angeblich hat es gute Chancen. Wäre es aber nicht besser, zwei Bewerber zu haben, die vielleicht ein wenig den Anspruch haben, die Veranstaltung nicht zum ökologischen Desaster werden zu lassen?
Ein paar Stunden habe ich noch Zeit zu sinnieren. Es ist nur eine Stimme von sehr vielen. Allerdings: gäbe es einen generellen, weltweiten Bürgerentscheid Pro oder Contra Olympische Spiele im Allgemeinen, würde ich sofort, wenn auch mit etwas schwerem Herzen, dagegen stimmen.

Positiv denken

Nach der unerfreulichen Verminderung meines Hab und Gutes vor ein paar Tagen habe ich zum ersten Mal wieder durchgeschlafen und versuche, etwas Positives daran zu sehen.

An sich ist mir schon sehr daran gelegen, weniger zu besitzen, worüber ich hier auch schon geschrieben habe. Allerdings möchte ich doch bitte selber wählen, worauf ich verzichten möchte. Und das, was ich am Leib trage, ist wohl eher etwas, worauf ich nicht verzichten möchte. Geld, Personalausweis, Computer.

So einen muss ich mir nun wieder beschaffen, billig wird das nicht. Das Positive an dem Ärgernis ist nun zum einen, dass ich ihn als Tritt in den Hintern sehe, endlich meine Lederhandtaschen zu verkaufen. Ich trage sie nicht mehr, sie liegen in Kisten verstaut im Weg. Bisher habe ich aus Zeitmangel, Misanthropie und moralischen Bedenken nichts unternommen, sie aus der Wohnung zu entfernen. Misanthropie, weil mir Schnäppchenjäger zuwider sind, die sich unverhohlen freuen, etwas „günstig geschossen“ zu haben und auf ideellen Werten, so überflüssig sie eigentlich sein mögen, herumtrampeln. Moralische Bedenken deswegen, weil ich das Leder nicht tragen will und es daher eher seltsam ist, sie jemand anderem andrehen zu wollen und daraus finanziellen Vorteil zu ziehen. Jetzt ist meine Moral dahin. Ich brauche Geld.

Wenn wir bei Handtaschen bleiben, kommen wir zu der anderen „positiven“ Sache. Ich besaß bis vor ein paar Tagen zwei „vegetarische“ Handtaschen. Im Gegensatz zu meiner früheren Sammelleidenschaft habe ich mir immer überlegt, dass es eigentlich nicht schlecht wäre, nur eine einzige zu besitzen. Man spart sich Stauraum in der Wohnung. Nun besitze ich nur noch eine Handtasche.

Zwei Luxusprobleme gelöst. Danke, unbekannter Dieb.

Wirklich, wenn ich diese Zeilen lese, ist es mir schon peinlich, in solchem Überfluss leben zu dürfen.

Gern geschehen

Sehr geehrter Dieb,

Einer Mutter, beladen mit Kleinkind, Buggy, Einkaufstüten, mit Brotzeitdose und Kuscheltier hantierend, im öffentlichen Nahverkehr die Handtasche klauen, was für eine Gelegenheit. Die konntest du dir nicht entgehen lassen.

Also, herzlichen Glückwunsch!
Hiermit übereigne ich dir mein Leben. Du hast meinen Personalausweis. Du hast meinen Namen, du kannst mich ergoogeln. Du hast meine Adresse, du hast meine Haus- und Arbeitsschlüssel. Du kannst dir also noch viel mehr klauen. Du hast mein kostspieliges Hochleistungslaptop. Wenn du mein Passwort knackst, weißt du eh alles über mich, meine Familie, meine Arbeit, durch meine Fotos, meinen Kalender, mein Adressbuch…
Tut mir leid, dass ich die Karten gleich habe sperren lassen, aber du hast dafür ja auch einige Scheinchen bekommen, und wir wissen doch alle: nur Bares ist wahres.
Und die Handtasche, der Geldbeutel, ich weiß, ein Spleen, sind auch viel wert, wenn du das einschätzen kannst.
Außerdem kannst du ein ganzes halbes Jahr umsonst den ganzen Verkehrsverbund nützen.

Aber was sind schon Sachwerte. Ich danke dir fürs „Ideelle“:
Dafür, dass ich mich nackt fühle, dumm. Dafür, dass ich mir Vorwürfe mache, Sorgen. Dafür, dass ich mich irre ärgere und kaum Glück darüber verspüren kann, dass es uns eigentlich so gut geht, dass wir gesund sind. Dafür, dass ich durchaus auch etwas Angst habe, denn du kannst meine Familie und mich jederzeit aufsuchen.

Dank dir darf ich viele Gespräche führen. Mir Vorwürfe anhören, Verbesserungsvorschläge. Manchmal Mitleidsbekundungen.

So gerne schenke ich dir meine Zeit. Die Zeit an den Hotlines, um meine Karten sperren zu lassen, neue zu beantragen, von Banken bis Krankenkassen. Die Stunde, bis ich bei der Polizei die Anzeige aufgegeben habe (ja, da musst du lachen, die hätte ich mir wohl sparen können). Die Stunde beim KVR, um einen neuen Ausweis zu beantragen. Ein neuer Führerschein muss her, das wird wohl ein Tagesausflug mit Kleinkind. Die Schlösser austauschen, und das im ganzen Haus, das wird auch dauern. Einen neuen Computer kaufen. Irgendwo hinfahren, um an ein neues Semesterticket zu kommen. Passwörter ändern.
Ich schenke dir übrigens auch wertvolle Schlafenszeit. Es ist vier Uhr früh, wie du siehst.

Wenn ich die Sachwerte zusammenrechne, habe ich dir gut sechs Monate Nettoarbeitszeit geschenkt. Ein halbes Jahr meines Lebens habe ich dir geschenkt. Zeit, die ich auch mit meinem Kind verbringen hätte können.

Gern geschehen.

Gern geschehen, du Arschloch.

Zeit vertreiben

Die Idee zu bloggen, ein öffentliches Tagebuch zu führen, war mir immer suspekt (deshalb habe ich nicht schon vor zehn Jahren angefangen).

Wie immer ist es so, man sollte etwas ausprobieren, bevor man sich darüber lustig macht (wie z.B. auch „Veganismus“, nur so am Rande). Vor einem Monat habe ich also einfach mal angefangen zu schreiben, aber, ehrlich gesagt, es raubt mir Zeit, die ich lieber für etwas anderes verwendet hätte, Dinge, die ich einfach gerne tue und nicht erledigen kann, wenn ich mir überlegen muss, was ich denn hier alles zum Besten geben könnte. Nun, ich habe es ausprobiert und gemerkt, dass es kein geliebtes Hobby wird, dass wahrscheinlich Netzwerken dazugehört und einfaches Monologisieren nicht reicht.

Vielleicht lasse ich alles hier eine Weile verstauben. Es ist nicht auszuschließen, dass mir hin und wieder etwas auf den Nägeln brennt, was ich hier niederschreibe, aber wahrscheinlich eher selten. Zumindest will ich nicht wieder von vorne anfangen, Stunden hin- und herüberlegen, welches grafische Thema ich wähle, passende Grafiken dazu erstellen müssen und mir einen Blogtitel einfallen lassen müssen.

Jetzt werde ich mich erst einmal ein paar unerledigten Aufgaben zuwenden, die mir Freude bereiten.

Moments of Parenting Shame

Manchmal stellt man sich Fragen als junger Mensch, die man nicht beantworten kann. Dann wacht man ca. zwei Jahrzente später eines Tages auf und merkt, dass man die Antwort kennt, obwohl man die Frage längst vergessen hat.

Für einen jungen Menschen ist es ein Rätsel, warum es in so vielen Einspielern bei schadenfreudigen Home-Video-Shows, die es einst im Fernsehen gab (in Zukunft einfach durch „Clips“ und „Youtube“ ersetzen), kleine Kinder in nicht ungefährlichen Situationen zu sehen gab:

Auf dem Schlitten gegen den Baum gleitend, von der Schaukel in die Pfütze plumpsend, vom Schaukelpferd geschleudert, vom Karussell kugelnd undsoweiter undsofort.

Was sind denn das für Eltern, ja, haben die immer die Kamera im Anschlag dabei, anstatt auf das Wohl ihrer Kinder zu achten? Fragt sich der naive Teenager.

Das Rätsels Lösung: es sind die *** zweiten Male, die da dokumentiert wurden. Der überbordende Stolz, dass der Nachwuchs zum ersten Mal alleine Schlitten gefahren ist, es zum ersten Mal alleine auf das große Klettergerüst geschafft hat, sich alleine aufs Karussel getraut hat. Da holt ein begeisterter Elter die Kamera aus der Tasche, pfriemelt an den Knöpfchen, die Aufnahme muss ja schön werden, ach, da wird die Omma aber stolz sein, Kind, mach es nochmal, warte…, genau jetzt hab ich dich im Bild, und los gehts! Und schon hat man einen Moment of Parenting Shame (MoPS) festgehalten, weil das Kind auf die Eltern und die Eltern auf die Technik achten.

Wir haben es verstanden. Heute verstehen wir. Denn auch wir haben *hüstel* einen oder zwei davon auf CCD gebannt.