Macht mich nicht froh

Sehr geehrte (Kinder)Ärzte*,

Soweit ich mit Ihnen in den letzten Jahren zu tun hatte, schätze ich Ihre fachliche Kompetenz. Wirklich, ich kann Sie allesamt nur weiterempfehlen.

Es ist sehr freundlich, den kleinen Patienten den Besuch mit einer kleinen Nascherei zu versüßen, dagegen spricht absolut nichts.

Aber, aber, aber, jetzt kommt das aber, aber das wussten Sie sicher, denn sie sind ja kluge Menschen: müssen es denn immer Gummibärchen sein? Natürlich die „guten“, originalen, man gönnt den Kleinen ja sonst nichts?

Ich gehe davon aus, dass Sie so vereinnahmt sind von Ihrem Job, ständig Fachmagazine vertieft, um auf dem neuesten Stand zu bleiben, dass Sie nicht dazugekommen sind, darüber nachzudenken, was Sie Ihrer Kundschaft da kredenzen.

Sie sind nicht die einzigen, dass muss ich Ihnen zugute halten. Sie gehören wie ich und alle Menschen zwischen 2 und 92 Jahren zu denjenigen, die entsprechen konditioniert sind: Haribo macht Kinder froh, undsoweiter undsofort. Das gute Markenprodukt, natürlich (seit in Mode) ohne künstliche Zusatzstoffe. Davor (solange in Mode) schreiend bunt.

Natürlich sind Goldbären ein praktisches Geschenk: mit einem Haps im Mund, überleben lang im Glas, das so verführerisch auf Ihren Schreibtischen steht. Beziehungsweise bei besonders wohlmeinenden Kollegen: die kleinen Giveaway-Tütchen.

So oder so, ist ja nur eine Kleinigkeit, eine Geste, ich möchte nicht undankbar erscheinen. Verzeihen Sie, dass ich Ihnen wertvolle Zeit stehle, ich bin ja immer noch nicht bei dem Grund des „Abers“ angekommen, also bitteschön (lassen Sie mich allerdings bitte ein paar Fragen vorneweg stellen):

  • Ihnen müsste klar sein, woraus Gelatine besteht?
  • Die meisten von Ihnen haben eine der führenden Tageszeitungen abonniert, die durchaus alle paar Tage über die Probleme der Massentierhaltung berichtet?
  • Viele von Ihnen kaufen bevorzugt Bio, denn Qualität ist Ihnen wichtig, vor allem natürlich beim Fleisch?

Leider ist Ihnen wohl nicht aufgefallen, dass Haribo keinerlei Bio-Siegel hat, nein, nicht einmal ein selbstgestaltetes Feigenblatt-Siegel, das in diese Richtung ginge. Die Firma hat es natürlich nicht nötig, als „Household Name“, sich in dieser Richtung hervorzutun. Wir sind mit diesen Gummibärchen großgeworden, der Genuss weckt Erinnerungen, wozu also die Pferde scheu machen?

Kurz und gut, zusammenfassend möchte ich darauf hinaus: solange wir nicht durch transparente Produktionsschritte vom Gegenteil überzeugt werden können, ist davon auszugehen, dass die Gelatine dieser bunten bärgewordenen Gaumenfreuden aus Schlachtabfällen übelster Intensivtierhaltung besteht.

Sie schenken meinem Kind also Haut-und Knochenreste von Ferkeln und/oder Kälbchen, sprich Tierkindern, die keine Tierkindheit haben durften, überzüchteten, gequälten Kreaturen.

Da stehen Sie, sagen meinem Kind „Toll hast du mitgemacht, jetzt bekommst du ein Gummibärchen!“ und das Kind ist stolz ob  des Lobs und voller Vorfreude auf die Süßigkeit und strahlt. Ja, Sie fragen mich nach dem Angebot und vor der Übergabe, ob es für mich in Ordnung gehe (hauptsächlich wohl wegen des Zuckers?). Ich kann den Nachwuchs dann nur noch darauf hinweisen, dass in dem Bärchen trauriges Schwein drin ist (denn damit kann es etwas anfangen) und ich das nicht gut finde. Aber in diesem Moment (Lob von einem anderen Erwachsenen! Süßes!) ist das Argument zu abstrakt und das Kind greift zu.

Es gibt zwei Möglichkeiten, wie Sie mich und das liebe Vieh glücklich machen könnten (und die durchaus vielen Vegetariereltern da draussen!): zum Einen führt Haribo durchaus Produkte, die ohne Gelatine auskommen. Geschmacklich hinken Sie hinterher und müssen durch Säure oder Farbe aufgepeppt werden, aber dennoch hätte ich kein Problem mit einem Schlumpf als Belohnung, um ein Beispiel zu nennen. Zum Anderen gibt es in jedem guten Biomarkt Bärchen ohne tierisches Gummi. Auch diese hinken geschmacklich meist hinterher, aber ich habe viel Zeit (durch Durchforsten zahlreicher Läden) und Geld (denn Bio kostet mehr) investiert, um eine Sorte zu finden, die im Geschmack und Mundgefühl mithalten kann. Sie können sich vertrauensvoll an mich wenden, ich verrate Sie Ihnen gerne.

Bitte füllen Sie Ihre Gläser um. Tun sie es für die Tiere und die Umwelt. Denn die werden unsere Kinder auch in Zukunft brauchen.

Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben, um über dieses Erste-Welt-Problem nachzudenken.

Mit freundlichen Grüßen,

M. Ota

* …, sehr geehrte „andere“, die gerne Goldbären verschenken: Großeltern, Wahlkämpfer, (Kinderschuh)Verkäufer, ältere Nachbarn als Dank fürs Blumengießen, …

Weihnachtszeit – Geschenkezeit

Der Spekulatius pfeift es schon seit Monaten von den Regalen, so langsam startet der Countdown: das jährliche Konsumspektakel steht wieder vor der Tür!
Bücher sind immer eine gute Geschenkidee zu Weihnachten, und idealerweise kann man andere zum Nachdenken bringen.
Hier sind vier recht unterschiedliche Buchtipps für kalte Wintertage, von feuriger Apokalypse bis zu einer Prise herzerwärmender Liebesgeschichte ist alles dabei. Im Uhrzeigersinn von rechts oben präsentiere ich:

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  • E. O. Wilson: Die Zukunft des Lebens (The Future of Life) – Eine ausführliche Bestandsaufnahme, was die Zerstörung unserer Ökosysteme (überwiegend zur Erfüllung überflüssiger Bedürfnisse), gepaart mit der Überbevölkerung, auf unserem Planeten bereits angerichtet haben, wie alles (wahrscheinlich) mit der Landwirtschaft begonnen hat, und wie die Zukunft aussieht (Spoiler gefällig: düster).
  • Jared Diamond: Kollaps (Collapse) – Auch als Erste-Welt-Bewohner darf man sich nicht sicher sein, dass alles so gemütlich bleibt, wie es ist. Zuviel Völker sind schon ausgestorben, von edlen Naturvölkern bis zu sogenannten Hochkulturen. Diamond zählt sie auf und erklärt, wie es soweit kommen kann.
  • Stephen Emmot: Zehn Milliarden (10 Billion): Papierverschwendung? Ja, bitte! Wer in ein, zwei Stunden einen Abriss dessen haben möchte, was schiefläuft,  kann das hier in knappen Worten nachlesen. Um einem Argument Nachdruck zu verleihen, wird gerne mal ein einziger Satz auf einer Seite gedruckt. Da die meisten Menschen nicht (zu) begreifen (scheinen), was exponentielles Wachstum bedeutet, sind extra viele Graphen zur Verdeutlichung abgedruckt. Dass der Autor kein Naturwissenschaftler ist, macht sich gegen Ende des Buches bemerkbar, auch seine (zitierten) Schlussworte sind platt, dennoch absolut empfehlenswert, gerade für Wenig-Leser.
  • Marina Lewycka: Caravan – Ein Liebesroman als versöhnliches Ende der Liste, aber wieso? Zum Einen ist es eine Romanze zwischen zwei osteuropäischen Saisonarbeitern, die sich (zuerst) auf einem Erdbeerfeld verdingen.  Man bekommt am Rande, mit Herz und Humor, mit, was es für die Protagonisten bedeutet, für wenig Lohn monatelang die Familie zu verlassen. Zum Anderen kommt alles anders, und die Arbeiter landen in einem geflügelverarbeitendem Betrieb. Zu dem Zeitpunkt, als ich das Buch gelesen habe, habe ich noch Fleisch gegessen, aber dieses Buch hat mir ernsthaft und für alle Zeit den Appetit auf Hühnchen und Co. verdorben (nicht, dass ich Federvieh nicht schon immer eklig fand). Wenn man sich oder anderen vor Augen führen will, wie widerwärtig Massentierhaltung und die fleischverarbeitende Industrie ist, und dabei nicht uninspiriert mit „Tiere essen“ oder einem Buch, dass „vegan“ im Titel hat, hantieren möchte, ist dieses Buch ein Geheimtipp. Man muss ja nicht einmal den Zweck des Schenkens verraten. Es ist eine kurzweilige Geschichte, bei der die Liebe siegt.

Ich wünsche von Herzen eine stille und besinnliche Zeit – am Besten jederzeit!