Analogkäse vs. Käseanalog

Neulich im Veganz, die übliche Kundschaft, Etiketten studierend, da betritt ein Paar mittleren Alters den Laden. Es zeigt von vorneherein, dass es gegen den Strom schwimmt, und rollt das Sortiment von hinten, auf, an der Kasse beginnend.

„Eis aus Reismilch“, „Kochbücher“, „Kekse“, werden die angebotenen Waren abwechselnd von den beiden aufgezählt, die erste Silbe der Substantive ungläubig bis herablassend betont. Dann geht es ans Eingemachte: „Schau, da haben sie den Fleischersatz“. Über dessen Sinn wird daraufhin in geringerer Lautstärke sinniert, bis es weitergeht und triumphal verkündet wird: „Hier ist der Analogkäse!“.

Das restliche Sortiment war dann weniger spannend, oder die Einsicht, das Getreide, Obst und Gemüse auch „vegan“ sind ist aufgekeimt, oder ich habe schlichtweg nicht mehr hingehört, das Paar war dann einfach verschwunden. Ohne etwas zu kaufen, nehme ich an.

Ein bisschen schamhaft erinnern mich solche „Begebenheiten“ an mich selbst vor noch wenigen Jahren (da habe ich auch die Eröffnung des Max Pett hämisch kommentiert). Auch heutzutage habe ich solche Anwandlungen (wenn der Weg ins Manufactum führt und Muttern den einzig! wahren! Kleiderbügel! entdeckt). Wahrscheinlich haben viele ökologisch(er) oder ethisch(er) handelnde Menschen mal auf der anderen Seite gestanden. Das macht den Übertritt auf die „bessere Seite“ nicht leicht. Ein Übertritt ist es ja auch nicht wirklich, mehr eine Vergrößerung des Blickwinkels, ein Erweiterung des Bewusst-Seins.

Wobei wir wieder beim Käseersatz wären. Die Inhaltsstoffe des pflanzlichen Käseanalogs im Spezialsupermarkt sind dessen Konsumenten bewusst. Er ist versierter Etikettenleser und kann den einzelnen Zutaten die Größe ihres ökologischen und ethischen Fußabdrucks zuordnen und entsprechend wählen. Beim Analogkäse im Supermarkt wird allenfalls das Preisetikett begutachtet und entscheidet über den Kauf. Wird auf Inhaltsstoffe hingewiesen, ist der Aufschrei groß und entfacht höchstens Sorge um die eigene Gesundheit. Pauschal gesagt.

Zum Glück gibt es immer mehr Menschen, die einen Schritt zurück gehen, dadurch ihren Blick erweitern, und sich fragen, welche Auswirkungen ihr Handeln, ihr Konsum, auf andere und anderes hat. Vielleicht macht das auch mal das Paar aus dem Veganz. Ironie ist immerhin besser, als sich gar nicht mit anderen Perspektiven zu beschäftigen.

Deshalb kaufe ich allerdings trotzdem kein handgeklöppeltes Bügeleisen aus dem Mittelschwarzwald.

 

Süßkrämerei

Gerade scheint im Bildungsbürgertum das Thema Zucker als Krankmacher Nummer Eins der Smalltalkthemen zu sein. Vielleicht ist es nur eine statistische Häufung in meinem Umfeld,  jedenfalls wurden mir mehrfach Gespräche hierzu aufgedrängt.

Auslöser ist scheinbar die (vor)letzte Folge von Plasberg, in der Zucker thematisiert wurde. Und ein Artikel in der SZ, der in die gleiche Kerbe schlug.

Meine Eltern beispielsweise haben heute beim Kuchenessen konsequent auf kurzkettige Kohlenhydrate im Kaffee verzichtet mit der Begründung, dass sie ja jetzt ihren Süßkonsum einschränken, da Zucker so ungesund sei.

Natürlich ist zuviel Zucker schlecht. Genauso wie zuviel Eiweiß schlecht ist oder zuviel Fett. Aber jetzt ist eben wieder Zucker in Mode. Dabei scheint es ja keine neuen Erkenntnisse zu geben. Dass er als Geschmacksverstärker großzügig in industriell hergestelltem Essen verwendet wird, ist doch ein alter Hut. Dass irgendwelche Leute „da oben“ etwas tun sollen, man aber bei Durchsetzung von Reglementierungen sofort die Freiheit eingeschränkt sehen würde, ist ebenso klar wie Kloßbrühe.

Was ich einfach nicht verstehe ist: wieso berührt dieses Thema den Bürger so besonders? Wieso jetzt (wieder)? Weil es direkt um die eigene Gesundheit geht?

Wieso hat die Dokumentation  über die Herkunft unserer Kleidung vor einigen Monaten aus der Serie 37° nicht so eine Auswirkung und führt zu einer solchen Debatte? Wieso nicht der Themenabend zur Überfischung auf arte? Wieso nicht „Schweine für den Müll“ auf 3Sat kürzlich? Oder diese Entschleunigungsdoku vor ein paar Tagen, ebenfalls auf arte (und das sind nur Dinge, über die wir zufällig im Fernsehen gesehen haben, wir forsten keine Fernsehprogramme durch)

Wieso also Zucker? Ich habe mich schon ertappt, es für ein Manöver zu halten, von den größeren Problemen in der Welt abzulenken, aber das wäre wohl paranoid?

(Fehlende Quellen- und ungenaue Zeitangaben bitte ich zu entschuldigen. Ich hab doch keine… Zeit!)