Sehr geehrter Dieb,
Einer Mutter, beladen mit Kleinkind, Buggy, Einkaufstüten, mit Brotzeitdose und Kuscheltier hantierend, im öffentlichen Nahverkehr die Handtasche klauen, was für eine Gelegenheit. Die konntest du dir nicht entgehen lassen.
Also, herzlichen Glückwunsch!
Hiermit übereigne ich dir mein Leben. Du hast meinen Personalausweis. Du hast meinen Namen, du kannst mich ergoogeln. Du hast meine Adresse, du hast meine Haus- und Arbeitsschlüssel. Du kannst dir also noch viel mehr klauen. Du hast mein kostspieliges Hochleistungslaptop. Wenn du mein Passwort knackst, weißt du eh alles über mich, meine Familie, meine Arbeit, durch meine Fotos, meinen Kalender, mein Adressbuch…
Tut mir leid, dass ich die Karten gleich habe sperren lassen, aber du hast dafür ja auch einige Scheinchen bekommen, und wir wissen doch alle: nur Bares ist wahres.
Und die Handtasche, der Geldbeutel, ich weiß, ein Spleen, sind auch viel wert, wenn du das einschätzen kannst.
Außerdem kannst du ein ganzes halbes Jahr umsonst den ganzen Verkehrsverbund nützen.
Aber was sind schon Sachwerte. Ich danke dir fürs „Ideelle“:
Dafür, dass ich mich nackt fühle, dumm. Dafür, dass ich mir Vorwürfe mache, Sorgen. Dafür, dass ich mich irre ärgere und kaum Glück darüber verspüren kann, dass es uns eigentlich so gut geht, dass wir gesund sind. Dafür, dass ich durchaus auch etwas Angst habe, denn du kannst meine Familie und mich jederzeit aufsuchen.
Dank dir darf ich viele Gespräche führen. Mir Vorwürfe anhören, Verbesserungsvorschläge. Manchmal Mitleidsbekundungen.
So gerne schenke ich dir meine Zeit. Die Zeit an den Hotlines, um meine Karten sperren zu lassen, neue zu beantragen, von Banken bis Krankenkassen. Die Stunde, bis ich bei der Polizei die Anzeige aufgegeben habe (ja, da musst du lachen, die hätte ich mir wohl sparen können). Die Stunde beim KVR, um einen neuen Ausweis zu beantragen. Ein neuer Führerschein muss her, das wird wohl ein Tagesausflug mit Kleinkind. Die Schlösser austauschen, und das im ganzen Haus, das wird auch dauern. Einen neuen Computer kaufen. Irgendwo hinfahren, um an ein neues Semesterticket zu kommen. Passwörter ändern.
Ich schenke dir übrigens auch wertvolle Schlafenszeit. Es ist vier Uhr früh, wie du siehst.
Wenn ich die Sachwerte zusammenrechne, habe ich dir gut sechs Monate Nettoarbeitszeit geschenkt. Ein halbes Jahr meines Lebens habe ich dir geschenkt. Zeit, die ich auch mit meinem Kind verbringen hätte können.
Gern geschehen.
Gern geschehen, du Arschloch.