Über Leichen zu Bratkartoffeln

Man ( = ich) betritt gegen Mittag hungrig eine Bäckerei und entdeckt erfreut, dass in der vorhandenen Warmhalte-Vitrine nicht nur das übliche Schweinsallerlei liegt, sondern auch appetitlich aussehende Bratkartoffeln.

Man: Schön, dass sie Bratkartoffeln haben. Sind die mit Pflanzenöl gebraten?

Verkäuferin: Hm… Ja? … Ja.

Man: Prima, dann hätte ich gerne eine Portion zum Mitnehmen.

Verkäuferin: Mit Leberkäse oder Fleischpflanzerl?

Man: Nur so, bitte.

Verkäuferin: Das geht nicht, Bratkartoffeln gibt’s nur im Menü.

Man: …

Verkäuferin: Also, sie wollen…?

Man: Eine Semmel, bitte.

Verkäuferin: Bitteschön, der Nächste!

Der Nächste: Eine Leberkässemmel, bitte.

Verkäuferin: Mit süßem oder scharfem Senf?

Man verlässt traurig die Bäckerei mit trockenem Backwerk und der Erkenntnis, dass auch in einer Stadt mit gefühlt unzähligen pflanzlichen Versorgungsmöglichkeiten diesen tatsächlich (nahezu…) unendlich viele Fleischquellen gegenüber stehen.

Die Welt wird ein bisschen besser

„Eigentlich hast du ja wirklich recht mit dem Essen,…“, sagte mein Vater gestern im Biergarten, während er seinen zweiten Leberkäse fertig verzehrte, „… auch, wenn deine Mutter und ich nicht so konsequent sind. Wir sind jetzt Flexitarier.“ Er legte das Besteck auf den geleerten Teller. „Braucht ihr noch was? Ich hole mir jetzt noch Würste.“

Gern geschehen

Sehr geehrter Dieb,

Einer Mutter, beladen mit Kleinkind, Buggy, Einkaufstüten, mit Brotzeitdose und Kuscheltier hantierend, im öffentlichen Nahverkehr die Handtasche klauen, was für eine Gelegenheit. Die konntest du dir nicht entgehen lassen.

Also, herzlichen Glückwunsch!
Hiermit übereigne ich dir mein Leben. Du hast meinen Personalausweis. Du hast meinen Namen, du kannst mich ergoogeln. Du hast meine Adresse, du hast meine Haus- und Arbeitsschlüssel. Du kannst dir also noch viel mehr klauen. Du hast mein kostspieliges Hochleistungslaptop. Wenn du mein Passwort knackst, weißt du eh alles über mich, meine Familie, meine Arbeit, durch meine Fotos, meinen Kalender, mein Adressbuch…
Tut mir leid, dass ich die Karten gleich habe sperren lassen, aber du hast dafür ja auch einige Scheinchen bekommen, und wir wissen doch alle: nur Bares ist wahres.
Und die Handtasche, der Geldbeutel, ich weiß, ein Spleen, sind auch viel wert, wenn du das einschätzen kannst.
Außerdem kannst du ein ganzes halbes Jahr umsonst den ganzen Verkehrsverbund nützen.

Aber was sind schon Sachwerte. Ich danke dir fürs „Ideelle“:
Dafür, dass ich mich nackt fühle, dumm. Dafür, dass ich mir Vorwürfe mache, Sorgen. Dafür, dass ich mich irre ärgere und kaum Glück darüber verspüren kann, dass es uns eigentlich so gut geht, dass wir gesund sind. Dafür, dass ich durchaus auch etwas Angst habe, denn du kannst meine Familie und mich jederzeit aufsuchen.

Dank dir darf ich viele Gespräche führen. Mir Vorwürfe anhören, Verbesserungsvorschläge. Manchmal Mitleidsbekundungen.

So gerne schenke ich dir meine Zeit. Die Zeit an den Hotlines, um meine Karten sperren zu lassen, neue zu beantragen, von Banken bis Krankenkassen. Die Stunde, bis ich bei der Polizei die Anzeige aufgegeben habe (ja, da musst du lachen, die hätte ich mir wohl sparen können). Die Stunde beim KVR, um einen neuen Ausweis zu beantragen. Ein neuer Führerschein muss her, das wird wohl ein Tagesausflug mit Kleinkind. Die Schlösser austauschen, und das im ganzen Haus, das wird auch dauern. Einen neuen Computer kaufen. Irgendwo hinfahren, um an ein neues Semesterticket zu kommen. Passwörter ändern.
Ich schenke dir übrigens auch wertvolle Schlafenszeit. Es ist vier Uhr früh, wie du siehst.

Wenn ich die Sachwerte zusammenrechne, habe ich dir gut sechs Monate Nettoarbeitszeit geschenkt. Ein halbes Jahr meines Lebens habe ich dir geschenkt. Zeit, die ich auch mit meinem Kind verbringen hätte können.

Gern geschehen.

Gern geschehen, du Arschloch.

Nachkriegsgeneration vs. Generation X

Zu ersterer zählt meine Mutter, zweiterer gehöre wohl ich an… Das führt bis heute leider bisweilen zu gegenseitigem, kopfschüttelndem Unverständnis

Gestern waren wir gemeinsam beim Einkaufen fürs Enkelkind, Winterhosen mussten her. Da meine liebe Mutter sich in ökobiofairen Läden immer etwas verloren vorkommt, waren wir in einem „besseren“ Kaufhaus als Kompromiss.

Wir fanden ein paar gefütterte Hosen, die in Frage kamen, und reflexartig drehte ich sie auf Links, um die Labels zu checken. Dass ich das Produkt, dass in Bangladesch hergestellt wurde, sofort zurücklegte, nahm sie sogar verständnisvoll hin. Die anderen Beinkleider, „Markenware“, war in China hergestellt. „Um China kommt man nun einmal nicht herum“, meinte meine Mutter lapidar. Auf eine Kordhose habe ich mich eingelassen, die auf „Used“ getrimmten Jeanshosen habe ich unter ihrem Protest auch zurückgehen lassen. Da seufzte sie gottergeben: „Kind, komisch warst du schon immer“. War aber auch peinlich, vor den Verkäuferinnen (für sie).

Es hätte sicher keinen Sinn gemach, ihr von Xintang seinen gekippten Gewässern und zerstörten Lungen zu erzählen. Einer Frau, die sich karitativ extrem engagiert, die die hintersten Winkel der Welt und furchtbares Elend mit eigenen Augen vor Ort gesehen hat. Ihre Tochter, die das Elend nur aus der Zeitung und Dokumentationen kennt. Sie versteht es nicht, sie macht die „Connection“ nicht. Das verstehe ich nicht, gleichzeitig versteht sie mich nicht.

Fairsein gelingt nicht immer. Man liest wahrscheinlich immer nur von der Spitze des Eisberges. Wenn man aber über Missstände Bescheid weiß und dennoch von ihnen profitiert, ist das doch schizophren.

Ich möchte einfach versuchen, Fehlern aus dem Weg zu gehen. Da bewege ich mich auf dünnem Eis, denn früher habe ich auch nicht nachgedacht, und das kann man mir jederzeit vorwerfen (die Gleichung „teuer = gut bezahlte Arbeit und glückliche Flora und Fauna“ geht nämlich nicht auf. Das sehe ich jedes Mal, wenn ich in meinen Kleiderschrank mit vielen Altlasten blicke). Vor ein paar Jahren hätte ich wohl auch noch herablassend auf so ein Sonst-Keine-Probleme-Kleinkariertheit reagiert, daher will ich meiner Mutter das nicht vorwerfen. Ihr gönnerhaft zugutezuhalten, sie wisse es halt nich besser, ist auch daneben. Es ist halt nicht einfach. Sie tut aktiv viel Gutes innerhalb unserer Gesellschaft, da ist es eigentlich blöd, traurig über ihr Unverständnis zu sein. Ich bin ja nicht mal aktiv, steuere ja nur meinen Konsum. Ansonsten gilt wohl, dass nicht einer alle retten kann, und wenn sich jeder seine Sparte sucht, die ihm am Herzen liegt, ist das doch auch eine tolle Sache.

Konsum-Erziehungs-Fail

Gestern spät nachmittags im Supermarkt, nach einem langen Trödel-Bummel-Tag. Den Buggy, vollgehängt mit Wertsachen, vor mir herschiebend, versuchend, das Kind hinter mir im Auge zu behalten. Auf dem Weg zur Sojamilch in der hintersten Ecke des Kühlregals bleibt der Nachwuchs nur zu gerne immer wieder stehen, um die bunten Joghurtbecher zu inspizieren.

Irgendwann geht mir die Geduld aus und ich blöke laut: „Nein, bitte stell das wieder zurück. Das ist von traurigen Kühen. So etwas kaufen wir nicht.“

Das mag zwar inhaltlich richtig sein, aber für umstehende Einkäufer klang das sicherlich… überheblich? … selbstgerecht? … dämlich? Das will ich dem Nachwuchs eigentlich so nicht vorleben. Der erste Satz, gefolgt von „Das brauchen wir nicht.“ hätte genügt, so wie sonst auch. Weiß auch nicht, was da in mich gefahren ist, es ist mir einfach peinlich genug, um Zeit zu investieren, um hier Abbitte zu leisten.

Wird nicht wieder vorkommen.

Moments of Parenting Shame

Manchmal stellt man sich Fragen als junger Mensch, die man nicht beantworten kann. Dann wacht man ca. zwei Jahrzente später eines Tages auf und merkt, dass man die Antwort kennt, obwohl man die Frage längst vergessen hat.

Für einen jungen Menschen ist es ein Rätsel, warum es in so vielen Einspielern bei schadenfreudigen Home-Video-Shows, die es einst im Fernsehen gab (in Zukunft einfach durch „Clips“ und „Youtube“ ersetzen), kleine Kinder in nicht ungefährlichen Situationen zu sehen gab:

Auf dem Schlitten gegen den Baum gleitend, von der Schaukel in die Pfütze plumpsend, vom Schaukelpferd geschleudert, vom Karussell kugelnd undsoweiter undsofort.

Was sind denn das für Eltern, ja, haben die immer die Kamera im Anschlag dabei, anstatt auf das Wohl ihrer Kinder zu achten? Fragt sich der naive Teenager.

Das Rätsels Lösung: es sind die *** zweiten Male, die da dokumentiert wurden. Der überbordende Stolz, dass der Nachwuchs zum ersten Mal alleine Schlitten gefahren ist, es zum ersten Mal alleine auf das große Klettergerüst geschafft hat, sich alleine aufs Karussel getraut hat. Da holt ein begeisterter Elter die Kamera aus der Tasche, pfriemelt an den Knöpfchen, die Aufnahme muss ja schön werden, ach, da wird die Omma aber stolz sein, Kind, mach es nochmal, warte…, genau jetzt hab ich dich im Bild, und los gehts! Und schon hat man einen Moment of Parenting Shame (MoPS) festgehalten, weil das Kind auf die Eltern und die Eltern auf die Technik achten.

Wir haben es verstanden. Heute verstehen wir. Denn auch wir haben *hüstel* einen oder zwei davon auf CCD gebannt.

Schwein gehabt

Studenten und Mitarbeiter der Münchner Unis haben das Glück, täglich aus entsprechend gekennzeichneten veganen Gerichten und Beilagen wählen zu können. Als stolze Besitzerin der Mensa-Card konnte ich so bis vor kurzem „unentdeckt“ mein pflanzliches Mahl einnehmen. Bis ich eines Tages einmal wegen der Zutaten nachfragen musste und ein Bekannter in Hörweite stand.
Das ist nicht weiter schlimm, es hat sich nichts geändert, wieso auch.

Nur eine Kollegin entschuldigt sich jetzt immer bei mir, wenn sie ihre Fleischgerichte bestellt. So auch vor ein paar Tagen, als sie sich mit ihrem Schweinebraten neben mich setzte. Keine Ursache, konnte ich nur antworten, gern geschehen, ich hatte eh ein paar Pfunde zuviel.